Zum Erntedankfest der Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien e.V.

am 16. Oktober 2010, 14.00 Uhr:

Grußwort von Reinhard M.W. Hanke,

Vorsitzender der Berliner Landesgruppe der Landsmannschaft Westpreußen e.V.

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender Liebehenschel, liebe schlesische Landsleute,

verehrte Ehrengäste, meine Damen und Herren!

 

Als Vorsitzender der Landesgruppe Berlin der Landsmannschaft Westpreußen danke  ich Ihnen auch namens meiner Organisation sehr für die Einladung zu dieser Veranstaltung und die Möglichkeit, mich an Sie wenden zu dürfen.

 

 

Sind die Landsmannschaften noch zeitgemäß? Brauchen wir einen Bund der Vertriebenen?

 

Vertreibungen gab es in der Welt schon vor den verbrecherischen Massenvertreibungen von Deutschen im Jahre 1945 und danach, auch solche, die von Deutschen selbst zu verantworten waren, aber Vertreibungen haben bis heute nicht  aufgehört, das Bild der Menschheit zu bestimmen.

 

Am 5. August diesen Jahres nun wurde in Stuttgart in  einer  Festveranstaltung der Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen vor 60 Jahren gedacht. Der darin 1950 von Repräsentanten der Heimatvertriebenen ausgesprochene Verzicht auf „Rache und Vergeltung“, die Bekundung, an der Schaffung eines vereinten Europas mitwirken zu wollen und die Aufforderung zum friedlichen Dialog waren nicht nur  für die deutschen Heimatvertriebenen richtungweisend bis heute und richtungweisend in die Zukunft hinein, diese Charta beeinflusste auch das Denken in der deutschen Gesellschaft allgemein.

 

Die Hörer des  Rundfunksenders „Deutschlandradio Kultur“ wurden anlässlich des Festaktes zum 60jährigen Jubiläum der Charta der Heimatvertriebenen an diesem Tage gefragt, ob sie der Meinung wären, dass die Vertriebenenverbände noch zeitgemäß wären. Einige wenige Hörer kamen zu Wort, alles keine Vertriebene, alles keine Experten für Vertriebenenverbände. Der Tenor am Ende der rund zehnminütigen Befragung: Vertriebenenverbände sind heute überflüssig, na ja, so meinte ein Westfale: gegen ein bisschen Volkstanz und gegen einen Vortrag, der sich mit der Geschichte befasst, hätte er aber auch nichts einzuwenden!

 

Ich selbst habe durchaus keine Einwände  gegen die Pflege von Volkstanz und Pflege der oft dazugehörigen Trachten auf ernsthafter wissenschaftlicher Grundlage als Teil unserer Kulturarbeit. Ich habe auch nichts gegen Vorträge zur Geschichte über unsere Heimat und unser Volk.

 

 

Denn wer die Vergangenheit nicht kennt, der hat auch keine Gegenwart und keine Zukunft.

 

Für das  Bild, dass in der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus, von den  Vertriebenenverbänden besteht, sind in allererster Linie wir in diesen Verbänden selbst verantwortlich. Aufbauend auf unseren geschichtlichen Erfahrungen muss unser Blick, muss unsere Verbandsarbeit auf Gegenwart und Zukunft bezogen sein. Wir dürfen uns nicht in der Rolle der Vergangenheitsverwalter gefallen, die über kurz oder lang „die Löffel abgeben werden“. Wir müssen heute und in Zukunft und für unsere Zukunft in die Gesellschaft hineinwirken und uns auch von falschen Freunden öffentlich konsequent trennen. Unser Maß muss auch heißen: Effektivität in unserer Heimatarbeit, d.h. weg von nutzlosen,  zeitverschwenderischen Beschäftigungstherapien.

 

Ein amerikanischer Geschäftsmann gab einmal kund: selbst wenn ich die von meinen Fabriken hergestellten  Produkte verschenken wöllte, so müsste ich für dieses Verschenken meiner Produkte Werbung machen!

 

 

Wer das Licht der Öffentlichkeit scheut und nur intern und im Verborgenen „wirken“ will, hat bereits verloren. Beispiele dafür gibt es genug!

 

Ein Gegenbeispiel par excellence ist die derzeitige Arbeit der Landsmannschaft Schlesien unter der Führung ihres ideenreichen und energischen Vorsitzenden Wolfgang Liebehenschel  und seiner Mannschaft.

 

– Gratulation - !!!

 

Angesichts der knappen Zeit, die mir hier gegeben ist, seien mir aber noch einige „Handreichungen“ erlaubt, die die zuweilen mäkelnden Hinweise auf das fehlende Geld und die Widerstände von Seiten staatlicher Behörden, von bestimmten gesellschaftlichen Gruppierungen und aus der Gesellschaft allgemein beiseite schieben. Denn unser Rahmen, innerhalb dem wir arbeiten und wirken ist der demokratische Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland und sein rechtlicher Schutz durch eine unabhängige Justiz, unser  Rahmen ist auch die Europäische Union mit ihrem Rechtssystem, der angestrebten  Freizügigkeit und das freie Niederlassungsrecht; hierin sind  auch die Vertreibungsgebiete im heutigen Polen, in  Tschechien und anderswo im Osten und Südosten Europas, also auch Schlesien, mit eingeschlossen, auch wenn es uns nicht gelungen war, die Vertreiberstaaten von den rechtswidrigen und verbrecherischen Bierut- und Benesch-Dekreten vor ihrem Eintritt in die EU zu befreien.

 

 

Was können wir für und in unser alten, nie aufzugebenden Heimat tun?

 

Schlesien hat in der heutigen Republik Polen eine besondere Bedeutung. Die Deutschen stellen vor allem in Oberschlesien eine starke Bevölkerungsgruppe. Deren Institutionen in Schlesien sind auch federführend für die Deutschen im übrigen Polen, also auch in Westpreußen tätig. Schlesien ist ein kulturelles Schwergewicht in der deutschen Kulturgeschichte, in Europa und auch in Polen.

 

Im „BAEDEKER Reiseführer Polen“ werden schlesische Dichter wie Joseph Freiherr von Eichendorff, Gerhart und Carl Hauptmann als bedeutende Persönlichkeiten in Polen angezeigt!

 

Auch die Steine, die Architektur, die Baugeschichte auf dem Lande, in den Dörfern und Städten sprechen deutsch.

 

Was heißt das für unser Selbstverständnis: intensive Kontakte zu den Deutschen in Schlesien auch im Zusammenhang mit derartigen Großveranstaltungen wie die heutige. Laden Sie – wie auch früher schon geschehen  – Gruppen aus der deutschen Bevölkerung in Schlesien ein, polnische Mitbürger sind dabei durchaus willkommen. Reisen Sie nach Schlesien so oft sie nur können. Nehmen Sie Kinder und Enkelkinder mit, zeigen Sie diesen ihre Heimat. Vielleicht können Sie mich dann auch einmal in meinem Vaterhaus im niederschlesischen Sagan am Bober, in der Gartenstraße 1, besuchen.

 

 

Was können wir hier in Berlin für Schlesien tun?

 

Um die Polen in Berlin brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. In öffentlichen Verkehrsmitteln sind sie überaus deutlich präsent, ihre Sprache mit den für uns nicht ganz einfachen Zischlauten, ist ihr Erkennungszeichen. Und wie oft ist die einzige hübsche Blondine in ihrem U-Bahnabteil Polin. Einschließlich meiner eigenen polnischen Schwägerin sollen ja weit über 130.000 Polen in Berlin leben und arbeiten.

 

Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat eine Patenschaft für Schlesien. Diese Patenschaft ist nicht so selbstverständlich. Dank also auch an den Bezirksbürgermeister Ekkehard Band und seinen Vorgänger Dieter Hapel, mit denen ich hier im Hause bzw. in Tempelhof einige Jahre als Planungsbeauftragter direkt zusammenarbeiten durfte, Dank auch dem Bezirksamt und den Bezirksverordneten.

 

Aber wir haben auch konkrete schlesische Wurzeln in der ganzen Stadt Berlin, die es zu pflegen, zu erhalten und weiterzuentwickeln gilt, für die wir kämpfen müssen, damit sie nicht über kurz oder lang verschwinden.

 

Da sind die Namen von Straßen, die auf Schlesien hinweisen. Es könnten durchaus noch solche hinzukommen!

 

Da gibt es Namen von Schulen, die auf Schlesien hinweisen: die Riesengebirgs-Schule beispielsweise. Viele ostdeutsche Schulnamen wurde in den letzten Jahrzehnten wieder beseitigt, sei es durch Schulfusionen, wie gerade in Charlottenburg-Wilmersdorf nun auch die Marienburg-Oberschule wegorganisiert wurde, nachdem  die Westpreußen-Oberschule schon sehr viel früher mit ihrem Namen verschwand.

 

Da war  die Schlesien-Oberschule in Charlottenburg. Sie wurde im Jahre 2004 umbenannt in Oppenheim-Oberschule. Charlottenburger Politiker informierten mich seinerzeit über den Grund der Umbenennung: die Schule habe einen hohen Anteil von türkischen und arabischen Schülern, diese sollten durch den neuen Namen „Oppenheim-Oberschule“, der an Margarethe Oppenheim (1823-1890) erinnert, der Frau des Obertribunalrats Otto Georg Oppenheim (1817-1909), dem früheren Grundstückseigentümer. Dadurch  sollten diese ausländischen Schüler an die Geschichte der Juden in Deutschland herangeführt werden. Als ob nicht gerade Schlesien vielfältige Möglichkeiten geboten hätte, jüdische Geschichte in Deutschland lebendig werden zu lassen, sei es durch jüdische Publikationen, die in Schlesien, im damaligen jüdischen Zentrum in Dyherrenfurt, ihren Ausgang nahmen, oder durch die Persönlichkeiten, die auf dem Jüdischen Friedhof in Breslau liegen, von Lassalle bis hin zu den Schottländers, von denen einer mein Geschichts- und Lateinlehrer an der Bertha-von-Suttner-Oberschule in Reinickendorf war. Im Rahmen des Deutsch-Polnischen Jugendwerks hätte man auch an einen Schüleraustausch mit Schulen in Schlesien denken können.

 

 

Man wollte es nicht!

 

Was ist das für eine Integrationspolitik, wenn diese unsere politischen Repräsentanten es nicht für möglich erachten, ausländischen Schülern unsere deutsche Geschichte und darin auch den Namen Schlesien mit Leben zu erfüllen! Schlesien, das von allen deutschen Landschaften die höchste Zahl (13) an Nobelpreisträgern hat, derer heute in der Universität von Breslau durch eine Tafel gedacht wird, trotz der heute fehlenden angestammten deutschen Bevölkerung.

 

 

 

Was können Sie selbst für Schlesien tun, ohne Geldausgaben, mit Phantasie?

 

Mäkeln Sie in Restaurants, wenn der Wirt nicht Schlesisches Himmelreich, schlesische Mohnpielen, schläs’chen Streiselkucha, Kroatzbeere, Stonsdorfer oder  Krupnik anbieten kann. Mäkeln Sie! Gehen Sie woanders hin, mäkeln Sie weiter.

 

Fragen Sie in Geschäften nach schlesischen Büchern, nach Kalendern, halten Sie die Geschäftsleute in Trab und damit Schlesien präsent. Erzeugen Sie einen Nachfragedruck.

 

Singen Sie – wie wir es heute hier auch tun werden – schlesische Lieder unverändert im Urtext, und zwar alle, auch die, in denen Schlesien als Begriff vorkommt.

 

Tragen Sie in Ihrem Bekanntenkreis, in ihrer Kirchengemeinde schlesische Gedichte und Texte vor. Sie werden staunen, wieviel Unwissenheit es in der Bevölkerung gibt und Sie werden staunen, wieviel Menschen sich plötzlich und spontan zu Schlesien bekennen.

 

Eine Empfehlung für das Heranziehen der Jugend: Denken Sie bei der Terminierung des „Schlesischen Erntedankfestes“ nicht nur an die heilige Barbara, sondern auch daran, ob – wie im Augenblick – Schulferien sind oder nicht; wie ich auf der Fahrt hierher von schlesischen Landsleuten im BVG-Bus hörte, sind deren Kinder, Enkel und Urenkel  zur Zeit meistens auf Mallorca und anderswo in den Ferien!

 

Kämpfen Sie dafür, dass die geplante „Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ im Deutschlandhaus nicht – wie es interessierte Kreise in Polen und in der Bundesrepublik Deutschland wünschen – zu einem „Museum für den Zweiten Weltkrieg“ verkommt, wie es ja auch in der Absicht für das neue Museum in Danzig liegt!

 

Im Namen auch meiner aus den westpreußischen Kreisen Deutsch Krone bzw. Wirsitz stammenden Mutter und meiner väterlichen schlesischen Saganer Wurzeln:

 

Tun Sie ‘was und schauen Sie dabei nach vorn! Schlesien war und ist viel zu schön, als dass wir es nicht zeitlebens in unsere Seele aufnehmen, es  lieben und Tag für Tag auf der Zunge tragen.

 

Verloren ist nur, was man selbst aufgegeben hat!

 

Schlesien, Glück auf!